Farben und Genuss: Das schmeckt rot

Farben beeinflussen unser Geschmacksempfinden auf vielfältige Weise: Rot macht Appetit und wird von uns mit Reife assoziiert. Gelb erinnert uns an den Vanillepudding aus Kindheitstagen und sorgt für ein Gefühl von Geborgenheit. Wie Farben und Genuss einander bedingen, ist daher ein spannendes Thema.

Hibiskustee hat ein kräftiges Rot, Mate sorgt für ein zartes Grün und Kamillentee wird knallig gelb. Verantwortlich für die Farben sind sekundäre Pflanzenstoffe wie Flavonoide, Chlorophyll oder Carotinoide. Insgesamt 100.000 solcher Pflanzenstoffe, deren Funktion sich nicht nur auf die Farbgebung beschränkt, sind bislang bekannt. Doch was machen die Farben mit uns? Ist Rot wirklich appetitanregend und verbindet unser Gehirn Süßes mit der Farbe Gelb?

Farben sicherten uns das Überleben

Farben beeinflussen unsere Entscheidungen im Alltag fast überall, ob bewusst oder unbewusst – im Supermarkt, am Abendbrottisch, in der Eisdiele oder auf dem Markt. Wer würde wohl graues Vanilleeis wählen, wenn er hellgelbes haben könnte? Wer würde zu Erdbeeren greifen, die kobaltblau sind?

Brombeer-Smoothie

Aus Sicht der Evolution macht das Sinn: In der Natur sind intensiv blau gefärbte Pflanzen häufig giftig; reife Früchte selten grün und graue Schimmelkulturen deuten an, dass die Nahrung verdorben ist. Aus evolutionsbiologischer Perspektive ist es auch nachvollziehbar, dass sogar ein hoher Energiegehalt und Nährwert mit der Farbe Rot assoziiert ist, denn dieser Farbton ist naturgemäß oft ein Indiz für die Reife einer Frucht. All das waren und sind wichtige Informationen über das Essen, die das Überleben der Menschheit sichern sollen.

Farben wecken Erinnerungen und Erwartungen

Aber auch Gesellschaft und Kultur beeinflussen die Vorlieben und Geschmäcker ganzer Generationen. So sind gelbe Desserts für viele von uns sicher eine Hommage an die Kindheit. Denn damals haben wir Gelb mit Vanille verknüpft, gelernt durch die Farbe von Vanilleeis und Pudding – und das, obwohl Vanilleschoten eigentlich schwarz sind!

Psychologisch gesehen werden durch solche Verbindungen zwischen der Färbung von Essen und sensorischen Eindrücken oder emotionalen Erfahrungen, wie einem süßen Geschmack oder dem Gefühl von Geborgenheit, nicht nur Erinnerungen geformt. Häufen sich ähnliche Erlebnisse, so bildet sich die feste Erwartung, dass beide Phänomene auch in Zukunft gemeinsam auftreten werden. Man spricht dann von Konditionierung.
 
Auch im negativen Sinne kennen wir das, wenn der doch so gesunde Fencheltee uns an die Tage erinnert, an denen wir mit einer Magenverstimmung im Bett lagen. Oder ist es bei manchen Menschen vielleicht genau umgekehrt? Sie verbinden mit Fencheltee die Erleichterung, wenn die Bauchschmerzen wieder nachlassen. Der Duft nach Fencheltee hat auf sie eine appetitanregende Wirkung und durch die zartgrüne Färbung in der Tasse fühlen sie sich gleich noch vitaler. So unterschiedlich kann Konditionierung ablaufen. 

 

Farben tricksen den Geschmacksinn aus

Auch die Wissenschaft belegt, dass die Farbwahrnehmung maßgeblich daran beteiligt ist, wie das Aroma einer Speise beurteilt wird. Doch Farben können noch mehr: Sie können durch die hervorgerufene Erwartung einer bestimmten Geschmacksrichtung sogar das Urteilsvermögen unseres Geschmacksinns täuschen. Sprich: Wenn das Auge urteilt, hat die Zunge zu schweigen.

Zwei Studien zeigen dieses Phänomen sehr anschaulich:


In der einen Untersuchung färbten Forscher dazu Orangensaft in zwei unterschiedlichen Farbtönen – einmal mit leicht grünlicher Nuance, einmal eher ins rote Farbspektrum reichend – ohne den Geschmack zu verändern. Testpersonen der "Grün-Gruppe" beurteilten den Saft als deutlich saurer als diejenigen Probanden, der "Rot-Gruppe".


In einem anderen Experiment verliehen die Wissenschaftler einem farblosen Wein eine dunkelrote Färbung und das hatte große Auswirkungen auf die Beurteilung der Testpersonen. Sie attestierten dem gefärbten Wein einen vollen Körper, gute Reife sowie Komplexität. 
 
Vielleicht erklärt das, weshalb Tees aus roten Früchten von vielen Menschen besonders gerne getrunken werden. Sie schmecken nicht nur fruchtig, sondern wahrscheinlich auch vollmundiger. Wer bisher nur Schwarztee trank, sollte den Versuch eines neuen Geschmackserlebnisses gerne einmal wagen und sich auf bisher unbekannte Aromen einlassen.

Farben verändern auch andere Genussqualitäten

Die Farbe eines Lebensmittels hat allerdings noch weitreichendere Auswirkungen auf das gesamte Genusserleben. Nicht nur das Geschmacksempfinden lässt sich modifizieren, auch die Zuschreibung von anderen Produkteigenschaften wie Frische und Knackigkeit oder Konsistenz und Textur lassen sich im Experiment manipulieren. Einer Studie zufolge wurde beispielsweise Butter von Probanden als streichfähiger empfunden, wenn sie gelber erschien.
 

Auch ein farbiges Licht kann sich auf das Geschmackserlebnis auswirken. Ein Experiment konnte anschaulich beweisen, dass der Appetit auf Äpfel durch die Wellenlänge des Lichts verändert werden konnte. Bei blauem Licht war der Hunger auf die Frucht deutlich geringer als bei gelber Beleuchtung.

Mein Lieblingsbecher ist orange

Selbst die Farbe eines Tellers oder einer Tasse haben Einfluss auf unser Geschmacksempfinden. Das zeigen Forschungsergebnisse, wo mit Geschirr in unterschiedlichen Farben experimentiert wurde: Testpersonen schmeckte heiße Schokolade besser, wenn sie in einem orangenen Becher gereicht wurde als nur in einem weißen. Ohne zu wissen, dass in beiden Bechern die gleiche Schokolade war, bewerteten sie die Geschmacksintensität unterschiedlich. Für sie schmeckte der Kakao im orangenen Becher einfach "schokoladiger".

Ob das auch für andere Getränke gilt? Mit Sicherheit. Aber machen wir doch einfach den Selbsttest und servieren die nächste Tasse Tee einmal in einem knallroten Porzellan.


  1. https://www.dge.de/presse/pm/sekundaere-pflanzenstoffe-und-ihre-wirkungen-auf-die-gesundheit-farbenfrohe-vielfalt-mit-potenzial/
  2. https://www.foodwatch.org/de/frage-des-monats/2020/haben-farben-in-obst-und-gemuese-einen-einfluss-auf-die-gesundheit/
  3. https://www.geo.de/geolino/wissen/18529-rtkl-lebensmittel-warum-meiden-wir-blaues-essen
  4. https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/ernaehrung-rot-macht-appetit-1.3248682
  5. https://www.dlg.org/de/lebensmittel/themen/publikationen/expertenwissen-sensorik/farben-und-ihre-einfluesse
  6. https://www.wissen.de/lexikon/konditionierung-psychologieverhaltensforschung
  7. Fernández-Vázquez, R., Hewson, L., Fisk, I. et al. Colour influences sensory perception and liking of orange juice. Flavour 3, 1 (2014). https://doi.org/10.1186/2044-7248-3-1
  8. Rohm, H., Strobl, M., & Jaros, D. (1997). Butter colour affects sensory perception of spreadability. Zeitschrift für Lebensmitteluntersuchung und-Forschung A205(2), 108-110.
  9. Piqueras‐Fiszman, B., & Spence, C. (2012). The influence of the color of the cup on consumers' perception of a hot beverage. Journal of Sensory Studies27(5), 324-331.

 

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